Als ich damals Vinland Saga zum ersten Mal als Manga in der Auslage gesehen habe, wusste ich sofort, dass das irgendwann mal ein Anime wird, der sich in der Topliste einreihen wird. Lange hat es gedauert, bis er kam, jetzt ist er da - und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es mittlerweile allein ausreicht, wenn die Graphik spitze ist und der Anime einfach toll aussieht, um ihn "besser" zu machen, als er tatsächlich ist.
zur Handlung
"Kleiner Junge nimmt Rache für seinen ermordeten Vater" - wow.
Bei Geschichten rund um Rache ist es für mich beinahe wie mit Sport-Geschichten - man hat zwar einen guten und sinnvollen Beweggrund, richtig spannend macht es aber die Handlung nicht. Sie ist zwar ein guter Aufhänger für die Geschichte (obwohl ich die Einleitung deutlich zu lang fand!), aber lustigerweise scheint selbst der Autor gemerkt zu haben, dass dies als Substanz nicht ausreicht, weshalb der Anime zur Hälfte seinen Hauptcharakter beinahe links liegen lässt und sich auf eine beinahe realhistorische Handlung konzentriert.
Und das stört mich persönlich sehr. Wir bekommen knapp 7 Folgen präsentiert, in denen wir Thorfinn als Charakter kennen lernen, seinem Weg folgen, und wenn es soweit ist und er endlich erwachsen wird, ändert die Handlung ihre Richtung und schleift Thorfinns Geschichte mehr hinterher als sie aktiv zu erzählen. Und das ist wirklich schade, da Thorfinn im Grunde sympathisch und realistisch genug dargestellt wird, um ihm gut folgen zu können. Stattdessen konzentriert sich die Handlung auf Nebencharaktere und verrennt sich in die klassische Politikintrige, die im Endeffekt nicht besonderer ist als in vielen anderen Anime. So fällt leider auch die Mission von Leif, nach dem Verschwinden von Thorfinn nach ihm zu suchen, vollkommen ins Wasser. Die Szene, in der er Thorfinns Familie schwört, ihn nach Hause zu bringen, verpufft, weil man ihn die ganze Serie lang nie in Aktion erlebt und er mit Thorfinn mehr durch Zufall als durch Aktion wieder in Kontakt gerät. Auch die Familie, die sich wahrscheinlich Sorgen macht, verschwindet ins Nichts, was mir bzgl. Thorfinns Charakterentwicklung nicht sehr gefallen hat, gerade weil man am Anfang der Serie viel mit den Figuren zu tun hat.
Ebenso schlecht fand ich die Tatsache, dass alle Charaktere japanisch reden, egal, aus welcher Region sie zu kommen scheinen. Und obwohl man als Zuschauer alle versteht, verstehen sich die Charaktere aufgrund der Sprachbarrieren nicht. Das macht die Zuordnung der Figuren zu ihrem jeweiligen Volk nicht einfacher, v.a. da sich viele Charaktere und Soldaten ähnlich sehen, ähnliche Kleidung tragen oder ähnliche Waffen verwenden.
Trotz der Schwächen schafft es der Anime jedoch auch zu einigen guten Szenen, gerade die ersten Folgen sind spannend und emotional, da sich Thorfinn mit der Zeit immer mehr als Mensch zu verlieren scheint. Wie gesagt, verfolgt der Anime dies ab der Hälfte nicht mehr hauptrangig, sodass Thorfinn beinahe zum Nebencharakter mutiert. Die Politikintrige schreitet dann zu langsam voran, um wirklich spannend und mitreißend zu sein und viele wichtige Storypunkte verpuffen, weil gerade das 2. Opening viele Szenen spoilert. Dennoch sind die Openings und Endings schön anzuhören und unterstreichen den Anime hervorragend.
Positiv zu erwähnen sind außerdem die gut ausgearbeiteten Kämpfe. Sie sind zwar mehr als nur blutlastig und manchmal verzieht man schon fast angeekelt das Gesicht, aber die Choreographien sind sehr flüssig und abwechslungsreich gestaltet. Gleichzeitig entsteht jedoch damit auch eine neue Schwäche des Anime: soll es nun realhistorisch sein oder ein halber Fighting-Shounen?! Der Animationsstil gibt sich so erwachsen, dass es eigentlich den typisch realen Touch hat, aber wenn man Charaktere hat, die Steine so groß wie Autos und ganze Baumstämme im Kampf verwenden, zerstört sich die realhistorische Stimmung komplett.
Was für mich die Handlung im Endeffekt rettet, ist nicht nur die mehr als gelungene finale Szene zwischen Thorfinn und Askeladd, sondern v.a. ihre Interaktion im ganzen Verlauf der Serie. Zuerst einmal fand ich es sehr erfrischend, dass Thorfinn sich der Gruppe anschließt und nicht einen auf "ich gehe selbst meinen Weg, aber wir werden uns wieder sehen" Showdown wertlegt, was die Rachegeschichte doch von anderen Werken unterscheidet. Zum Anderen entsteht durch diese Rachethematik, die die beiden Hauptfiguren miteinander verbindet, eine interessante Zweckgemeinschaft, bei der man sich bis zum Schluss nicht sicher ist, ob sich die beiden Figuren nun tatsächlich mögen oder nicht. Dies lässt Raum für Momente, die auf zweierlei Art ausgelegt werden können und macht diese unglaublich interessant und einprägsam.
zu den Charakteren
Hauptcharakter Thorfinn ist zwar nicht neu, führt jedoch gut zur Geschichte hin. Seine Entwicklung ist zu Beginn kindgerecht, logisch und interessant. Aber genau ab dem Punkt, wo er für mich als Charakter interessant wird (ich kann mit Kindern als Hauptfiguren in Erwachsenen-Anime nicht unbedingt etwas anfangen) und erwachsen wird, wird er so gut wie fallen gelassen. Gerade im Mittelteil gibt es Folgen, in denen er so gut wie nicht vorkommt, was mich stellenweise wirklich nervte.
Stattdessen konzentriert sich die 2. Hälfte der Handlung auf Prinz Knut, der zwar im Grunde eine interessante Charakterentwicklung hinlegt, die aber wie oben beschrieben aufgrund des Bildmaterials des 2. Openings mehr als offensichtlich war, weshalb man auf gewisse Handlungsabschnitte förmlich wartet.
So viel zu den zwei einzigen Charakteren, die sich durch ihre Aufmachung und Synchronisation vom Rest des Casts abheben - die anderen Figuren reihen sich in dieserlei Hinsicht leider in die Breite Masse ein. Versteht mich nicht falsch, die Synchro ist toll und passt, doch leider klingen alle einfach zu ähnlich, um wirklich aus der Masse herauszustechen und aufzufallen.
So sind nur noch Askeladd selbst und Thorkell einzelne Lichtblicke.
Thorkell ist als Gegner fast noch der Interessanteste, hat einen einprägsamen Charakter, den man auch nach dem Schauen im Kopf behalten wird. Seine Art an Kämpfe heranzugehen kennt man zwar schon aus anderen Anime, gerade aus Fighting-Shounen, aber Thorkell fällt in diesem Setting mit dieser Art so dermaßen aus dem Rahmen, dass er mehr als positiv auffällt.
Askeladd hingegen könnte man als die heimliche Hauptfigur bezeichnen, der überraschend viel Tiefgang bekommt. Das war sehr schön zu beobachten, da man ihn im ersten Moment für den typischen Bossgegner hält, auf den man am Ende noch einmal zurück kommt, wenn Thorfinn stark genug für seine Rache wird. Da ihn aber der Handlungsverlauf unerwartet und v.a. ununterbrochen im Blick behält, gibt es genug Raum für eine gute Ausarbeitung. Wie gesagt, die Interaktionen mit Thorfinn sind fast das Interessanteste an ihm und bringen ihn als Charakter unglaublich weiter, weil man ihn nie wirklich als neue Vaterfigur und Lehrmeister für Thorfinn oder Bossgegner identifizieren kann. Und diese Mischung rettet die Handlung mehr als nur einmal.
Die Nebencharaktere waren okay, stellenweise jedoch zu overpowered. Bei anderen hat man stellenweise sogar das Gefühl, dass sie wichtig für die Handlung werden, weil sie interessante eigene Storylines oder Standpunkte hineinbringen, die in einem schönen Kontrast zu anderen Charakteren oder deren Verhaltensweisen stehen, doch meist verschwinden diese nach wenigen Auftritten. Fand ich persönlich schade, da man hier mehr als einmal die Möglichkeit gehabt hätte, die Handlung auf ethischer und moralischer Ebene komplexer zu machen und damit z.B. Thorfinns Einstellungen weiter zu vertiefen. Aber da die Serie ihren eigenen Hauptcharakter sowieso irgendwann links liegen lässt, braucht es das im Endeffekt nicht mehr.
Fazit
Vinland Saga ist in manchen Punkten anders als erwartet und hebt somit die Rachegeschichte rund um Thorfinn und Askeladd überraschend und auf eine erfrischende Art an, doch seinen Hauptcharakter genau in dem Moment aufs Abstellgleis zu schieben, in dem der Zuschauer ihn nach folgenlanger Einführung eigentlich weiter beobachten will, zieht dann leider doch zu stark nach unten.
Genau in dem Moment, wo man das Gefühl hat, die Einleitung hinter sich gelassen zu haben und sich auf eine interessante Geschichte mit einem "fertig entwickelten" Thorfinn freut, den man nun endlich als ausgereifte, im Opening dargestellte Figur in Aktion erleben möchte, übernimmt die Politikintrige rund um Prinz Knut das Ruder, die jedoch insgesamt zu unspektakulär ist, um wirklich im Gedächtnis zu bleiben.
So reiht sich Vinland Saga für mich nur hinter ähnlichen Anime im besseren Mittelfeld ein, der sich nur durch sein unverbrauchtes Setting von anderen seiner Art abhebt.
Top500 ja, Top50 eindeutig nicht.
Comentario ha sido cambiado por último a las 16.10.2021 10:45.